Stolpersteine 5: Der Kampf der Kulturen

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Stolpersteine 5: Der Kampf der Kulturen

Johannes F. Reichert - Medienzukunft gestalten - Professionelles Changemanagement und Organisationsentwicklung zu Veränderungsprozessen in Medienunternehmen
Wer einen Veränderungsprozess zur digitalen Neuorganisation plant, richtet seine Aufmerksamkeit naturgemäß zunächst auf die zentralen Steuerungs-Elemente: Strategie, Strukturen, Workflows, Qualifizierung usw.

Wer einen solchen Prozess dann auch umsetzt, sieht sich konfrontiert mit Phänomenen, die sich einer klassischen Steuerung entziehen, zugleich aber entscheidend sind für das Gelingen des Vorhabens: die Unternehmenskultur.

„Culture eats strategy for  breakfast“

Der Management-Guru Peter Drucker hat diesen treffenden Satz formuliert.
Und weiter:

“Egal wie großartig Ihre  Geschäftsstrategie ist, sie wird  scheitern, wenn es keine  Unternehmenskultur gibt, die die  Menschen dazu ermutigt, sie  umzusetzen.“

"Kultur“– das ist in diesem Zusammenhang nicht die Sammlung wohlklingender Leitbilder, Visionen oder Missionen, die ohnehin kaum jemand kennt oder lebt.

Sie ist die Summe der unausgesprochenen, aber gelebten Werte und Normen — und der daraus resultierenden Haltungen und unbewussten Verhaltensweisen im operativen Alltag.

Was das Ganze noch kompliziert: Es gibt meist nicht die eine "Kultur" - einzelne Bereiche
der Organisation entwickeln ihre eigenen, sehr spezifischen Kulturen. Und wenn diese
"Sub-Kulturen" z.B. in einem Integrationsprozess aufeinander treffen, wird
das nicht nur "kompliziert", sondern "komplex" - und höchst spannend!.

Jede größere Veränderungsinitiative trifft also auf spezifische kulturelle Rahmensetzungen und Grenzen, muss sich mit ihnen auseinandersetzen. Und sie wird nur dann ihre Ziele erreichen, wenn sie diese Auseinandersetzung sehr bewusst gestaltet.



Ein Beispiel

Ein TV- und Radiosender möchte seine digitale Reichweite massiv ausbauen.
In einem aufwändigen Prozess wird die bestehende Struktur zu crossmedialen Einheiten umgebaut.
Nach einigen Monaten zeigt sich jedoch, dass die digitale Reichweite—anders als erwartet—massiv eingebrochen ist.

Bei der Ursachenforschung wird deutlich, dass in crossmediale Entscheidungspositionen ausschließlich linear erfahrene Führungskräfte aus TV und Radio berufen wurden. Diese übertrugen ihr lineares Verständnis und Erfahrungswissen auf digitale Produkte und Märkte —und scheiterten damit grandios.

Ein hoher Preis dafür, dass digitalen Expert*innen in dieser Kultur per se keine Führungseignung zugeschrieben wurde.



Auch nach vielen Jahren als Prozessbegleiter bin ich noch weit davon entfernt, Lösungen für einen umfassenden Kulturwandel anbieten zu können. Ich will hier aber zumindest einige Aspekte benennen, die aus meiner praktischer Erfahrung im Kontext der digitalen / crossmedialen Neuorganisation von zentraler Bedeutung sind.

1. Der dominierende lineare Mindset

Öffentlich-rechtliche Sender haben in den vergangenen Jahren massiv in den Ausbau ihrer digitalen Kompetenzen und Reichweiten investiert. Dennoch: Die Sender sind aufgrund ihrer langjährigen linearen Geschichte im Kern weiterhin „analoge Organisationen“:

90% der Mitarbeitenden arbeiten vor allem für TV oder Radio, ihr Mindset orientiert sich seit Jahrzehnten an Sendeplänen und Quoten, manchmal nur an der Anzahl ihrer Jahre bis zur Rente. Erfolgreiche Karrieren sind auch heute noch nahezu ausschließlich an TV- und Radio-Laufbahnen und entsprechende Denkweisen gebunden.

Prozesse und Verwaltungsvorschriften sind vorwiegend an den Erfordernissen linearer Angebote ausgerichtet. Die Budgets vor allem des Fernsehens liegen Dimensionen über den Ausgaben für digitale Plattformen – sie entsprechen der Hackordnung und den Honoraren in den Sendern: Oben TV, dann Radio, unten Digitales.

Viele Mitarbeiter*innen mit strategischer digitale Kompetenz haben die Sender aufgrund der fehlenden Wertschätzung ihrer Arbeit in den letzten Jahren verlassen. Die relativ wenigen digitalen Mitarbeiter*innen müssen ihre knappe Arbeitszeit aufteilen zwischen operativem Kleinklein und hohen strategischen Erwartungen.

Diese lineare Dominanz prägt – trotz aller klugen digitalen Strategien – die Alltagserfahrungen und ‚Normalität“ der Sender.

Jede Initiative, die in dieses Selbstverständnis eingreift, sieht sich konfrontiert mit massiven Widerständen und strukturellen Hindernissen: Wenn etwa im Zuge einer crossmedialen Neuorganisation die Honorare der beteiligten Autor*innen aus den unterschiedlichen Medien angeglichen werden sollen, dann stehen dem hausinterne Vereinbarungen oder auch die Haltungen der Tarifpartner gegenüber:

                       „Geht nicht.“

Jedes Vorhaben, das sich auf dieses Minenfeld begibt, braucht deshalb starke und inhaltlich überzeugte Auftraggeber, ein möglichst klar definiertes Ziel, mehr Zeit als geplant und eine hohe Frustrationstoleranz.

Für die Umsetzung sind deutliche "Symbolhandlungen mit Signalwirkungvon besonderer Bedeutung, indem z.B.

  • für zentrale Positionen digitale Expert*innen berufen werden,
  • tradierte TV- oder Radio-Formate eingestellt werden, um Ressourcen für digitale Initiativen zu schaffen,
  • Schwerpunkt-Themen explizit aus der Sicht digitaler Zielgruppen entwickelt werden
  • usw.

Zudem brauchen die noch immer zahlenmäßig schwachen digitalen Kompetenzen
vorübergehend „Welpenschutz" gegenüber den so selbstbewussten linearen Partnern.

2. Abteilungs-Egoismen  in der "überreifen Differenzierung“

Öffentlich-rechtliche Sender sind komplexe Gebilde, die über Jahrzehnte mit immer  neuen Aufgaben und Produkten gewachsen sind. Für ihr Funktionieren brauchen Sie  viele organisatorische Untereinheiten mit redaktionellen, technischen und  organisatorischen Kompetenzen für unterschiedliche Plattformen.  Diese Differenzierung lässt sich recht gut anhand eines Organigramms erkennen.

Die entscheidende Frage aus Sicht der Organisationsentwicklung ist:

  • Wie funktional arbeiten diese Aufbau- und Ablauforganisationen zusammen?
  • Wie gut spiegeln sie den Zweck und Auftrag des Unternehmens wider?

bzw.
  • Wie sehr entsprechen sie der Logik der Selbstorganisation eines selbstreferenziellen  Systems - frei von wirtschaftlichen Zwängen oder der Notwendigkeit einer  Kunden- oder Marktorientierung?
  • Wie sehr sind sie prägender Teil einer toxischen Kultur?

Ich habe das Phänomen der ‚überreifen Differenzierung“ bereits im Beitrag über das  heterogene Führungsteam beschrieben. Hier erscheint mir dieser Aspekt von  Bedeutung:

„Silos und Königreiche verstellen immer mehr den Blick auf das große Ganze der  Organisation, Abteilungsegoismus, interne Verrechnungsexzesse und  Abgrenzungsdenken nehmen überhand.“

Q: Julia Andersch, Oliver Martin: Landkarten der Transformation, Car-Auer-Verlag 2023, S. 107

Was ich beobachte:

Viele Bereiche (Redaktionen, Abteilungen) orientieren sich in ihrem Alltagshandeln  nicht an den übergeordneten Zielen des Senders, sondern haben sich über Jahre oder  gar Jahrzehnte einen eigenen Referenzrahmen geschaffen, der vor allem geprägt ist  durch Abgrenzung: „Meine Sendung, mein Budget, meine Mitarbeiter, meine  Entscheidungsbefugnis, meine Quote, mein Material".

Das Ausweiten und Erhalten dieser „Autonomie“ wurde zum zentralen Ziel dieser  kleinen Fürstentümer: „Mehr Budget, mehr Sendefläche, mehr Quote!“ Andere  Redaktionen und Medien im Unternehmen wurden als Rivalen gesehen im Kampf um  Ressourcen und Status - während zugleich die strategischen Ziele des Senders oder der  gesellschaftliche Auftrag immer weiter in den Hintergrund rückten.

Dieses Phänomen betrifft nicht nur die „alten“ Medien: Die digitalen Einheiten in  mehreren Sendern haben auf die jahrelange Vernachlässigung und geringe  Wertschätzung reagiert, indem sie sich selbst eine schützende „Schale“ zulegten. So  schützten sie sich vor Übergriffen der linearen „Partner“ („Gegner“?) und entwickelten  eine eigene digitale Kultur und Identität.

Eine crossmediale Neuorganisation ist immer verbunden mit einer Verknüpfung oder  Integration bislang getrennter Einheiten. Deshalb stellt sie für den Abteilungsegoismus  dieser halbautonomen Gebilde naturgemäß eine massive Bedrohung dar: Statt Abgrenzung wird nun Kooperation und Transparenz gefordert, bewährte Teams  werden neu gemischt, Mitarbeiter gehen "verloren“ an gemeinsame Newsrooms oder  Planungseinheiten, auch ein Teil der Entscheidungsbefugnisse der Team- und  Redaktionsleiter wird dorthin verschoben.

Vom Schrebergarten zum Park

Um ein Bild zu verwenden: In der bisherigen „Schrebergartensiedlung“ sollen die Zäune eingerissen werden.



In dem so entstehenden Park sollen Begegnungsräume entstehen, in denen das kollegiale Miteinander über Mediengrenzen hinweg ermöglicht wird, in denen miteinander Ideen und Produkte ausgetauscht und weiterentwickelt werden, wo einer dem anderen hilft, wo als Ziel gilt:

Das Beste möglich machen – nicht für den eigenen Bereich, sondern für den Sender!



Diese Perspektive ist für viele Mitarbeiter*innen ungewohnt – sie entspricht nicht ihrer gewohnten Alltagswahrnehmung, ihren gelernten und internalisierten Spielregeln. Ein „Umlernen“ aber braucht Zeit und Verbindlichkeit. Deshalb wird sich die alte Kultur noch lange Zeit immer wieder als mächtiger Gegner des Neuen melden.

Hendrik Hansen, der über viele Jahren den Umbau des Dänischen Rundfunks mitgestaltet hat,
formuliert das so:

„It takes blood, sweat and tears and at least ten years.“

Allein: Diese Zeit haben die ö entlich-rechtlichen Sender nicht mehr.

Also braucht es auch hier deutliche und vor allem nachhaltige Signale und Symbolhandlungen, die allen Beteiligten den Aufbruch in Richtung neuer Spielregeln signalisieren. Es braucht Führungskräfte, die die neuen Werte leben und vorleben. Es braucht neue Alltagserfahrungen, in denen die neue Kultur des „Miteinander“ erlebbar wird.

3. Selbstreferenziell oder im Kundenauftrag?

Ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich Programmentwicklungen in linearen Medien betrachte und sie mit entsprechenden Prozessen im Digitalen vergleiche.
In crossmedialen Einheiten treffen diese so unterschiedlichen Kulturen direkt aufeinander und ringen um die angemessene Methode bei der Themenauswahl und bei Themenzugängen.

Digitale Programmmacher sind häug Datenjunkies: Getrieben durch die Distributionslogiken von Google und Algorithmen nutzen sie alle verfügbaren Quellen, um mehr über ihre Kunden zu erfahren:
Wie alt sind sie?
Wann nutzen Sie unsere Angebote?
Was nutzen sie noch?
Welche Themen trenden in welcher Zielgruppe?
Welche Plattformen sind für welche Formatierungen besonders geeignet?
In welcher Form erziele ich die höchste Reichweite?

Trial and Error. Test. Nachsteuerung. Formatierung.

Aus all diesem Wissen und Testen - ergänzt mit dazu passenden kreativen Ideen - entsteht so (im Idealfall) ein Programmangebot, das fein zugeschnitten ist auf die Bedürfnisse und Interessen der Zielgruppen auf den verschiedenen Plattformen.

***** Achtung, ich übertreibe jetzt! ******

Und die Programmentwicklung im Linearen?
Noch immer erlebe ich gelegentlich Redaktionssitzungen, in denen einige wenige hochgebildete,  gutverdienende Männer in den 50ern ihr Weltbild und ihr Verständnis von  Journalismus ausbreiten:

    • „Was machen die Anderen?“
    • „Wir sollten mal wieder …“
    • „Das wichtigste Thema ist doch eindeutig …“
    • „Das sollten unsere Hörer / Zuschauer wissen!“
    • „Ich hab da einen guten Experten an der Hand …“
    • „Mein Gefühl sagt mir …“
    • „Wir brauchen noch was Buntes!“

Kundenorientierung? Fehlanzeige!

Mäüchtige Analyse-Werkzeuge der Medienforschung wie „Digital Media Types" oder "Sinus-Milieus" werden nur selten genutzt. Die Themenauswahl für ein Massenpublikum orientiert sich deshalb an der Lebenswirklichkeit einer kleinen Gruppe Redakteure, die häufig wenig zu tun hat mit den Lebenswirklichkeiten, Bedürfnisse und Interessen ihrer Kunden.

Klar, das ist ungerecht:
Schließlich stehen den Radio- und TV-Machern deutlich weniger belastbare Daten zur Verfügung als den Digitalen. Sie haben zudem keinen direkten Feedback-Kanal wie ihre Social Media-Kolleg*innen. Aber ich würde mir wünschen, dass mehr "professionelle Empathie“ an die Stelle des ‚Bauchgefühls“ tritt:

    • „Wer sind unsere Kunden auf unseren verschiedenen Plattformen?“
    • „Was bewegt unsere Kunden?“
    • „Was brauchen Sie jetzt vor allem?“
    • „Wofür wären sie dankbar?“
    • „Mit welchem Thema und mit welchem Themenaspekt treffen wir sie?“

Redaktionelle Unabhängigkeit versus Kundenorientierung

Als Gegenargument wird gern genannt, dass öffentlich-rechtlicher Rundfunk ganz bewusst unabhängig von Marktmechanismen funktionieren soll, sich nicht von Kundeninteressen abhängig machen darf. Dass der Auftrag bewusst die hohe journalistische Unabhängigkeit als Prinzip betont.

Ja, das ist auch gut so.
Aber nirgendwo steht geschrieben, dass dies ein Freibrief ist für selbstreferenziellen Journalismus ohne Kundenorientierung. Allein der regelmäßige Seitenblick auf die TV-Quote oder die MA-Zahlen zeigt doch schon heute ihre Bedeutung.

Empathie als Auftrag

Das Privileg der Beitragsfinanzierung ist gekoppelt mit einem klaren Auftrag: Den Menschen im Land einen Zugang zu relevanten Informationen zu bieten, ihnen die Teilhabe an öffentlichen Diskursen zu ermöglichen, den Austausch und das Miteinander zu stärken.
Diese „Gemeinwohlorientierung“ macht im Kern den Wert der Sender aus.

Deshalb müssen Journalisten empathisch sein - nah am Leben der Menschen, ihre Fragen und Bedürfnisse kennen und die bestmöglichen – journalistisch hochwertigen! - Angebote machen.

Die Existenzberechtigung öffentlich-rechtlicher Medien
bemisst sich letztlich daran, ob bzw. wie gut sie dies erreichen.

Warum ich mich hier so echauffiere? (Sorry!)

In nahezu allen Prozessen, die ich begleite, wird das "Hohe Lied" der ‚Kundenorientierung“ gesungen. Sie soll organischer Teil des neuen Arbeitens werden.
Fein!

In der Umsetzung stellen die Verantwortlichen dann jedoch oft fest, dass der organisatorische Umbau schon anstrengend und fordernd genug ist. Sich dann auch noch mit Kundenwünschen zu befassen, überfordere die Mitarbeiter oft.

Also heißt die Lösung meist:
Bringen wir jetzt erst mal die Neuorganisation zum Laufen mit all den neuen Aufgaben,
Workows, Funktionen. Wenn das geschafft ist, kümmern wir uns um die Kundenorientierung.
Nur leider: Dazu kommt es fast nie.

Schade.

4. Das unselige Organigramm

Organigramme sind zweifellos wichtig: Sie strukturieren die vielen Aufgaben innerhalb der Organisation, verbinden Ähnliches, beschreiben Entscheidungskompetenzen und
Zuständigkeiten, sie ordnen.

Der Übergang von einem nach Medien organisierten Sender hin zu einer crossmedialen Matrix-Organisation muss sich demnach auch im Organigramm widerspiegeln.
Entsprechend entstehen neue Funktionen wie „Crossmediale Chefredaktionen“ oder „Teamleads“ für crossmediale Planung, crossmediale Nachrichten oder crossmediale
Newsdesks.

Idealerweise sind diese Organigramme orientiert an der neuen Systemlogik, sollen eine möglichst reibungsfreie und effiziente Zusammenarbeit der Mitarbeiter*innen und Bereiche ermöglichen und sichern:

Form follows function!

Also leitet sich – nach meinem Verständnis - das Organigramm mit seiner Struktur sowie seinen verschiedenen fachlichen Positionen ab aus den erarbeiteten optimalen Workflows.
Wäre da nicht die "alte“ Kultur …

Denn Organigramme haben weiterhin auch hypnotische Wirkung im System: Sie signalisieren in ihrer Darstellung die jahrzehntelang gelebte Status-Hierarchie:
„Wer ist oben – also wichtig? Wer ist weiter unten – also unwichtiger?“

Und deshalb werden Organigramme oft leider nicht aus sinnvollen Workflows entwickelt, sondern aus dem Orientierungs- und Sicherheitsbedürfnis der Führungskräfte.

Während der Umsetzung zeigen sich dann die dadurch verursachten Reibungen,  Mehrarbeiten, Qualitätsverluste – meist zu Lasten der operativen Mitarbeiter*innen.



Zwei Beispiele

In manchen Unternehmenskulturen war dieser Aspekt so ausgeprägt, dass er der erste Schritt des Veränderungsprozesses überhaupt war: Noch bevor erste Ideen für sinnvolle Arbeitsbeziehungen und Workows entwickelt wurden, noch bevor der Projektauftrag formuliert war, wurde im Führungsteam das neue Organigramm erarbeitet. Um alle Status-Bedürfnisse zu sichern, wurden zu den bestehenden monomedialen Positionen einfach weitere crossmediale

hinzudefiniert. Das befriedete die Führungskräfte im Prozess, führte aber zu einem Wildwuchs an Positionen, die dann im Prozess (oder auch im laufenden Betrieb) ihre jeweiligen Kompetenzansprüche geltend machten.

Ein beeindruckendes Gegenbeispiel fand ich beim Umbau der Schweizer SRF:

Dort– so wurde mir berichtet – waren alle Führungskräfte aufgefordert, sich an der Entwicklung der neuen Arbeitsweisenzu beteiligen – allerdings ohne dass Positionen auch Namen zugeordnet wurden. Diese Entscheidung behielt sich der Direktor selbst vor, nur wenige Wochen vor der Umsetzung. Mutig - aber wirksam.



5. Eine andere Art von Führung

Crossmediales Arbeiten basiert im Kern auf der Fähigkeit und Bereitschaft zur  Kooperation.
Es setzt voraus, dass alle Beteiligten ihre sehr fachspezifischen  Fähigkeiten einbringen, um im Zusammenspiel bestmögliche Produkte entstehen zu  lassen – nicht nur für den eigenen Kanal, sondern auch für Ausspielwege, mit denen sie  bislang wenig zu tun hatten.

Das verändert die Führungsaufgaben in solch crossmedialen Einheiten massiv.
Zeichneten sich Führungskräfte in monomedialen Einheiten vor allem durch ihre  Expertise und ihr Erfahrungswissen in einem Kanal aus, kann niemand diesen Anspruch  für alle bespielten Ausspielwege – Radio, TV, Web, App, Facebook, Instagram, TikTok, … - in gleichem Ausmaß erfüllen.

Vom Profi zum Lehrling
Zugleich aber müssen alle Führungskräfte in diesem Kontext über ein solides  Grundverständnis zu Formaten, Arbeitsweisen, Marktbedingungen aller bespielten  Plattformen verfügen. Das erfordert zunächst ein hohes Maß an handwerklicher  Qualifizierung – und die Fähigkeit, sich als erfahrener Profi wieder in die Situation eines  Lehrlings zu begeben.

Zur Sicherung bestmöglicher Produktqualitäten ihres Teams sind crossmediale  Führungskräfte darauf angewiesen, das Zusammenspiel der jeweiligen Expert*innen zu  sichern: auf fachlicher Ebene (Workows, Werkzeuge, …), wie auch auf sozialer Ebene  (Spielregeln, Kommunikation, Konflikte, …). Aus den "Experten“ werden so zunehmend  Manager, Teamcoaches und Moderatoren.

Die Führungskraft als Coach
Ich erinnere mich gern an eine Szene während der Startphase eines Newsrooms:

Zwei Teamleiter kommen auf den Leiter des Newsrooms zu:

Teamleiter 1:
Wir haben ein Problem: Ich halte Vorgehen A für das Beste,
der Kollege besteht auf Variante B. Deshalb musst DU jetzt entscheiden!“

Newsroom-Leiter:
„Ihr beide seid die fachlichen Experten, ich verstehe davon weniger als ihr.
Deshalb werde ich das nicht entscheiden, aber ich biete euch gern an, euere Klärung zu moderieren.“

Matrix-Organisationen, wie sie bei crossmedialen Initiativen oft entstehen, erfordern ein hohes Maß an Verbindlichkeit und Kommunikation. Die vielen Perspektiven und spezifischen Anforderungen, die in den Prozess einfließen, sind nur zu bewältigen für Teamplayer - mit einem hohem Maß an Empathie und Perspektivenwechsel.

Neue Berufsbilder
Führungskräfte wie z.B. Sendungsverantwortliche agierten in klassischen  monomedialen Einheiten häug wie Chefs in Familienunternehmen: Allrounder,  Alleswisser, Allesentscheider – von der Themenauswahl der Sendung über  Personalentwicklung bis zur Budgetverwaltung.

Diese Funktionen werden in crossmedialen Einheiten oft fachlich neu aufgeteilt.
Damit  verschieben sich die Berufsbilder z. T. massiv, etwa in Richtung "Ausspielwegs- Verantwortliche*r“, "Crossmediale*r Journalistische*r Allrounder“ oder noch weiter  in Richtung Spezialisierung, wenn z.B. aus einer bisherigen Hörfunk-Nachrichten-Chefin  die Personalentwicklerin für alle Mitarbeiter*innen des Bereichs wird.



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